Wie sich der Aftermarket auf die elektrische Luftfahrt vorbereitet

Herausforderungen, Chancen und die Rolle der Luftfahrtsachverständigen
Die Luftfahrt steht vor einer epochalen Veränderung: Die Elektrifizierung von Flugzeugen, die Einführung hybrider Antriebe und die Entwicklung neuer Mobilitätsformen wie eVTOLs und Urban Air Mobility verändern die Branche grundlegend. Dieser Wandel ist nicht nur eine Frage der Konstruktion neuer Flugzeuge, sondern betrifft in besonderem Maße den Aftermarket – also die Gesamtheit der Dienstleistungen rund um Wartung, Instandhaltung, Ersatzteile, Modifikationen und Bewertungen.
Ohne einen funktionierenden Aftermarket können neue Technologien nicht nachhaltig betrieben werden. Während Flugzeughersteller derzeit die mediale Aufmerksamkeit genießen, liegt die eigentliche Schlüsselaufgabe im Aufbau von Strukturen, die elektrische Luftfahrzeuge über ihren gesamten Lebenszyklus begleiten. Genau hier kommen Luftfahrtsachverständige ins Spiel: Sie müssen die technischen, ökonomischen und regulatorischen Fragen der Elektrifizierung methodisch, neutral und gerichtsfest beantworten.


1. Die Transformation: Von fossilen Treibstoffen zu elektrischen Antrieben
Seit Beginn der zivilen Luftfahrt dominieren flüssige fossile Treibstoffe den Markt. Ob Kolbenmotor oder Turbine – der Betrieb war stets an Kerosin gebunden. Mit dem wachsenden Druck zur Dekarbonisierung, der politischen Vorgabe ambitionierter Klimaziele und der technischen Entwicklung leistungsfähigerer Energiespeicher rückt die Elektrifizierung nun in greifbare Nähe.
Die ersten Anwendungsfelder sind klar erkennbar: Kurzstrecken in der General Aviation, hybride Regionalflugzeuge und die urbane Luftmobilität. Für Langstreckenflüge bleiben Batterien auf absehbare Zeit ungeeignet, doch auch hier zeichnen sich Hybridlösungen oder alternative Energieträger wie Wasserstoff ab.
Die Elektrifizierung stellt nicht nur die Konstrukteure, sondern auch den Aftermarket vor völlig neue Aufgaben. Triebwerke als klassische, hochkomplexe Werttreiber werden durch Batterien und Leistungselektronik ersetzt. Wartung, Bewertung und Lebenszyklusmanagement verschieben sich in Richtung neuer Technologien, für die bisher keine etablierten Standards existieren.


2. Batterien als Herzstück der neuen Luftfahrt
Die zentrale Komponente elektrischer Flugzeuge ist die Batterie. Sie bestimmt Reichweite, Zuladung, Sicherheit und Restwert. Während Turbinen bislang in aufwändigen Wartungsprogrammen mit klar definierten Overhauls geführt wurden, fehlt bei Batterien ein vergleichbares, regulatorisch abgesichertes System.
Die Herausforderungen lassen sich in drei Hauptfelder gliedern:

  1. Lebensdauer und Zyklenmanagement
    Batterien verlieren über die Zeit an Kapazität, unabhängig davon, ob sie genutzt werden oder nicht. Ladezyklen, Temperaturmanagement und Einsatzprofile bestimmen die Degradation. Für den Aftermarket stellt sich die Frage, wie diese Faktoren transparent dokumentiert und in Bewertungen berücksichtigt werden können.
  2. Sicherheitsrisiken
    Das Risiko eines thermischen Durchgehens ist im Flugzeugbetrieb besonders kritisch. Brandschutzkonzepte, Crashsicherheit und Notfallmaßnahmen müssen nicht nur konstruktiv, sondern auch im Betrieb regelmäßig überprüft werden.
  3. Recycling und Nachhaltigkeit
    Die Rücknahme, Wiederaufbereitung und Zweitnutzung von Batterien erfordert eigene Logistikketten und Geschäftsmodelle. Sachverständige müssen hier ökologische, ökonomische und regulatorische Aspekte zusammenführen.

Für die Bewertung bedeutet dies: Batterien werden in Zukunft ähnlich wie Triebwerke als wertbestimmende Assets behandelt werden müssen – jedoch mit völlig neuen Parametern.


3. Elektrische Antriebe, Leistungselektronik und Software
Die zweite Säule der elektrischen Luftfahrt sind Elektromotoren und ihre Steuerungen. Sie gelten als mechanisch robuster und weniger wartungsintensiv als klassische Triebwerke, doch ihre Komplexität verlagert sich in den Bereich der Elektronik und Software.
Probleme entstehen nicht mehr primär durch mechanischen Verschleiß, sondern durch:

  • Überhitzung oder unzureichendes Thermomanagement,
  • Fehler in der Leistungselektronik,
  • Softwareprobleme und Dateninkonsistenzen.

Für den Aftermarket ergibt sich daraus ein neues Profil: Die Instandhaltung von Hardware wird ergänzt durch regelmäßige Software-Validierungen, Datenanalysen und Zertifikate für elektronische Bauteile. Für Sachverständige bedeutet das, dass Gutachten künftig nicht nur mechanische oder strukturelle Schäden, sondern auch digitale Fehlerbilder nachvollziehbar abbilden müssen.


4. Ladeinfrastruktur und Bodensysteme
Elektrische Luftfahrt endet nicht im Flugzeug. Die Infrastruktur am Boden wird integraler Bestandteil des Aftermarkets.

  • Ladezyklen und Ladegeschwindigkeiten beeinflussen die Lebensdauer der Batterien.
  • Schnittstellenstandardisierung entscheidet darüber, ob ein Flugzeug flexibel an verschiedenen Flughäfen betrieben werden kann.
  • Energieversorgungssysteme müssen in bestehende Flughafeninfrastrukturen integriert werden.

Für die Bewertung von Betriebskosten, Restwerten und Versicherungsrisiken ist es daher notwendig, auch die Qualität und Verfügbarkeit der Ladeinfrastruktur in die Analysen einzubeziehen.


5. Regulatorische Unsicherheiten
Die Regulierung elektrischer Luftfahrzeuge steckt noch in den Kinderschuhen. EASA, FAA und andere Behörden arbeiten an Rahmenwerken, doch viele Fragen bleiben offen.

  • Wie werden Batterieprüfungen definiert?
  • Welche Intervalle für Austausch oder Überprüfung sind notwendig?
  • Wie werden Software-Updates rechtlich eingestuft?

Diese Unsicherheiten haben unmittelbare Auswirkungen auf Versicherungen, Leasingverträge und Restwertbewertungen. Sachverständige stehen hier vor der Aufgabe, objektive und nachvollziehbare Einschätzungen zu liefern, auch wenn es noch keine festen Standards gibt.


6. Haftung und Sicherheit
Ein entscheidendes Feld sind die Haftungsfragen. Während bei klassischen Triebwerken Hersteller, Betreiber und Instandhalter über Jahrzehnte erprobte Verantwortlichkeiten etabliert haben, verschieben sich in der elektrischen Luftfahrt die Zuständigkeiten.

  • Fehler im Batteriemanagementsystem: Wer trägt die Verantwortung – der Hersteller der Batterie, der Flugzeugbauer oder der Betreiber?
  • Software-Fehler: Sind diese als technische Mängel oder als Betriebspflichtverletzungen einzustufen?
  • Infrastrukturprobleme: Welche Haftung entsteht, wenn ein Ladepunkt fehlerhaft arbeitet und die Batterie dadurch geschädigt wird?

Für Luftfahrtsachverständige bedeutet dies, dass sie nicht nur technische Bewertungen abgeben, sondern auch die juristische Dimension der Verantwortlichkeiten berücksichtigen müssen.


7. Ökonomische Auswirkungen
Die Elektrifizierung verändert auch das Geschäftsmodell des Aftermarkets. Klassische MROs (Maintenance, Repair and Overhaul) erzielen große Teile ihres Umsatzes mit der Wartung von Triebwerken. Elektromotoren hingegen sind vergleichsweise wartungsarm.
Gleichzeitig entstehen neue Einnahmequellen:

  • Batterie-Leasing statt Kauf – ähnlich wie es heute bei Triebwerken der Fall ist.
  • Software-Updates und digitale Services als kontinuierliche Umsatzquelle.
  • Predictive Maintenance durch Echtzeitdatenanalyse.

Für die Restwertbewertung bedeutet das: Flugstunden und Landungen verlieren an Bedeutung. Entscheidend werden Parameter wie Batteriestatus, Update-Historie oder die Kompatibilität mit neuer Infrastruktur.


8. Anforderungen an Luftfahrtsachverständige
Die Elektrifizierung der Luftfahrt stellt Sachverständige vor eine doppelte Herausforderung: Sie müssen sich in neuen Technologien zurechtfinden und gleichzeitig ihre Gutachten so formulieren, dass sie juristisch belastbar und wirtschaftlich relevant sind.
Die wichtigsten Anforderungen sind:

  1. Interdisziplinäres Wissen – Elektrotechnik, Batteriewissenschaft, Software-Validierung und Nachhaltigkeit müssen in die Bewertung einfließen.
  2. Gerichtsfeste Dokumentation – Gutachten müssen Unsicherheiten transparent machen, aber dennoch klare, nachvollziehbare Aussagen liefern.
  3. Neue Bewertungsmodelle – traditionelle Tabellen und Bluebooks reichen nicht mehr aus, dynamische Modelle werden notwendig.
  4. Internationale Vergleichbarkeit – da die Standards im Fluss sind, müssen Sachverständige ihre Arbeit auf international akzeptierte Grundlagen stützen.

9. Praxisbeispiele
Die Herausforderungen lassen sich bereits heute beobachten:

  • Bei eVTOL-Flotten fehlen klare Bewertungsgrundlagen für Batteriewechsel und Restwerte.
  • Hybride Regionalflugzeuge kombinieren Turbinen, Batterien und Software – ein hochkomplexes Zusammenspiel.
  • In der General Aviation zeigen Umbauten klassischer Flugzeuge, wie schwierig es ist, Nachrüstungen regulatorisch korrekt einzuordnen.

In allen Fällen sind Sachverständige gefragt, um Orientierung zu geben.


10. Chancen im Wandel
So groß die Herausforderungen sind – die Elektrifizierung eröffnet auch enorme Chancen. Luftfahrtsachverständige können Standards mitgestalten, Investoren und Versicherer beraten und Betreiber bei strategischen Entscheidungen unterstützen. Ihre neutrale Expertise wird zum entscheidenden Faktor für Vertrauen und Transparenz in einem sich schnell wandelnden Markt.


11. Die Rolle von GAEA
Die German Aircraft Expert Association (GAEA) sieht sich als Plattform, um diesen Wandel aktiv zu begleiten. Durch:

  • Fortbildungsprogramme für Elektro- und Hybridtechnologien,
  • Mitwirkung an Standardisierung und Normung,
  • Sicherstellung der Neutralität gegenüber Herstellern und Betreibern,

leistet GAEA einen Beitrag dazu, dass die elektrische Luftfahrt nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich und regulatorisch tragfähig wird.


Fazit
Die Elektrifizierung der Luftfahrt verändert den Aftermarket tiefgreifend. Batterien, Software und Ladeinfrastruktur treten an die Stelle von Triebwerken und klassischer Mechanik. Wartungs- und Bewertungsmodelle müssen neu gedacht werden, regulatorische Unsicherheiten erfordern neutrale Einordnung. Für Luftfahrtsachverständige entsteht damit eine historische Herausforderung – und zugleich eine einzigartige Chance, die Zukunft der Luftfahrt aktiv mitzugestalten.
GAEA wird diesen Wandel mit Kompetenz, Netzwerk und Verantwortung begleiten, damit die Luftfahrt auch im elektrischen Zeitalter sicher, transparent und nachhaltig bleibt.

2025-09-23T14:30:50+02:0015. September 2025|News|Kommentare deaktiviert für Wie sich der Aftermarket auf die elektrische Luftfahrt vorbereitet
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